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Im Schatten des CSD: Pinkwashing und Kuriositäten

Im Schatten des CSD: Pinkwashing und Kuriositäten

Wir schreiben den 23. Juli 2016. Hunderttausende haben sich in den Berliner Straßen versammelt, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Getreu nach dem diesjährigen Motto "Danke für Nichts" wird die Demonstration als sarkastische Hommage gegenüber der heutigen Politik geführt.

Es ist laut, wir hören dröhnende Musik. Von Schlager bis Techno ist alles dabei. Eine Vielfalt, die wir anderweitig oft vermissen. Allerlei Menschen sind vertreten. Ob Schwule, Lesben, Bi- und Intersexuelle, Transgender oder Freunde. Alle sind da, um zu demonstrieren, aber den Tag des CSD auch gebührend zu feiern.

Während der Parade fährt ein Wagen nach dem anderen im 10-Minuten-Takt an uns vorbei. Oft aufwändig gestaltet, farbenfroh mit wichtigen Botschaften an die Gesellschaft. Zwischendurch laufen die Bodentruppen, verkleidete Künstler tragen Schilder aller Art und machen auf die kritischen Themen der Community aufmerksam. Auf den Trucks sehen wir gut gelaunte Menschen, sie winken uns zu und strahlen allesamt eine angenehme Form von Stolz aus. Denn sie sind stolz darauf, Teil unserer Gemeinschaft zu sein.

Wir sehen viele Vereine, lesen deren Botschaften und sind von der Vielfalt entzückt. Doch wer sich die Trucks des CSD und deren Teilnehmer genauer ansieht, wird ernüchternd feststellen, dass neben den Communities und Vereinigungen, die sich tagtäglich für die LGBTI-Gemeinschaft einsetzen, auch große Firmen an der Parade teilnehmen, wo es auf den ersten Blick gar keinen Bezug zu jeglichen LGBTI-Themen gibt.

Pinkwashing

Wenn wir so viele kommerzielle Firmen beim Berliner CSD sehen, sollten sich die Firmen theoretisch auch in Projekten aus der LGBTI-Gemeinschaft engagieren. Sollte das nicht der Fall sein, sprechen wir vom Pinkwashing. Das bedeutet, dass sich große Firmen, Organisationen oder Parteien so präsentieren, dass sie sich für Themen wie Homosexualität bewusst einsetzen und Projekte unterstützen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Es werden also bewusst Marketingstrategien und politische Äußerungen so nach außen getragen, als wäre ein großer Bezug zur Queer-Gemeinde vorhanden.

Auch bei rechtspopulistischen Parteien wie der AfD ist Pinkwashing kein neues Thema. So lautet der Werbespruch ihres neuen Plakats "Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist". Und das von einer Partei, die zeitgleich ein Gefängnis für Homosexuelle fordert.

Beim CSD haben wir schnell die Vermutung, dass einige der großen Firmen überhaupt keinen Bezug zum Thema LGBTI haben. Doch eine Vermutung ist wie oft Schall und Rauch, sie ist nichts wert, solange die Fakten nicht für sich sprechen. Also haben wir die großen Firmen und Parteien mit dem Thema konfrontiert und wollten wissen, wofür sie sich denn in der Queer-Gemeinschaft einsetzen und welche Projekte sie konkret selbst leiten oder welche sie bewusst fördern.

Botschaften beim CSD

Antworten haben wir von der Slowenischen und Holländischen Botschaft erhalten. Slowenien setzt sich aktiv für die LGBTI-Rechte ein. So wurde im Jahr 2015 ein Gesetz verabschiedet, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt. Hierzu geben die Botschafter allerlei Interviews und Gesprächsrunden und setzen sich gezielt für eine 100%ige Gleichstellung in Europa ein. "Im Rahmen der Christopher Street Day-Demo sollten die Bemühungen auf dem Gebiet der LGBT-Rechte gemeinsam gefeiert werden. Es ging aber nicht nur ums das Feiern. Bei dieser Demonstration sollte hervorgehoben werden, dass der Kampf zur Gleichberechtigung immer noch notwendig ist" (Slowenische Botschaft, Sloembassy).

Erst vor Kurzem gab es den "Runden Tisch zum Thema LGBT-Rechte". Eine Gesprächsrunde mit zahlreichen Vertretern, unter anderem: Marta Kos-Marko (Botschafterin Sloweniens), Michael Roth MdB (Staatsminister für Europa), Denise McQuade (Botschaft Irland),Anton Bricman (Legebitra, Slowenien), Bernd Fabritius MdB (tbc), Henny Engels (LSVD Bundesvorstand) und Silke Radosh-Hinder (Evangelischer Kirchenkreis Berlin Stadtmitte). Slowenien nimmt das Thema LGBTI-Rechte sehr ernst und ist dem Thema gegenüber auch sehr aufgeschlossen.

"Im April dieses Jahres verabschiedete das slowenische Parlament ein neues Gesetz "Same-sex partnership act", welches ab Februar 2017 in Kraft treten wird. Die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden damit mit den Heterosexuellen gleichgestellt. Die Ausnahmen bilden hier lediglich das Adoptionsrecht und das Recht im Bereich der künstlichen Befruchtung" (Slowenische Botschaft, Sloembassy).

Bereits vor 15 Jahren hat die Niederlande als erstes Land die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. "Die Niederlande möchte sich dafür einsetzen, dass Homosexualität nicht mehr strafbar ist, sie möchten gegen Diskriminierung angehen und soziale Akzeptanz fördern. Im Ausland geschieht dies mittels des Außenministeriums und der niederländischen Vertretungen vor Ort, durch z. B. Lobbying oder Aufmerksamkeit generieren und festhalten in der Gesellschaft. Damit zunächst ein offener Dialog und so allmählich mehr Verständnis und Akzeptanz für LGBTI entsteht. Auch mittels internationaler Foren (z. B. UN, Europarat, EU und OSZE) versuchen die Niederlande die internationale Politik bezüglich LGBTI zu beeinflussen." (Niederländische Botschaft, Verhamme).

Durch Lobbyarbeit versucht die Niederlande gezielt, Aktivisten zu fördern und organisiert auch internationale LGBTI-Konferenzen. Externe Projekte unterstützen sie nicht, dafür leiten sie jedoch intern ihre eigenen. "Auch wortwörtlich zeigen wir Flagge: Während der CSD-Woche wird die Regenbogenfahne vor der Botschaft gehisst."

Queere Firmen?

Schauen wir uns die teilnehmenden Firmen einmal etwas genauer an. Die Deutsche Bank glänzt plakativ mit einer Spende von 5000 Euro an Berliner Aids-Hilfe. Man setzt sich gezielt in Szene, um die Spende zu übergeben. Journalisten und Fotografen werden extra engagiert. Seit 2009 ist die Deutsche Bank Mitglied im "Bündnis gegen Homophobie" und Firmenpartner der "Prout at Work". Detailliertere Informationen erhalten wir bislang nicht.

SAP hat eigens für das Thema LGBTI beauftragte Mitarbeiter. Nach dem Motto Pride@SAP führen sie globale Aktivitäten und Initiativen durch. Beim "Human Rights Campaign Foundation’s 2016 Corporate Equality Index" erreicht SAP einen Wert von 100%. Dabei ist ihnen die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz besonders wichtig. Sie selbst stufen sich als "Bester Arbeitsplatz für LGBTI-Gleichgesinnte" ein.

Von allen Firmen und Botschaften erhalten wir als Argument für den Einsatz in der LGBTI-Community, dass sie ja selbst an den CSDs teilnehmen. Ob es sich dabei aber doch mehr um eine Art Werbeveranstaltung handelt, bleibt euch überlassen.

Nein Danke!

Von Ryanair haben wir übrigens bis heute keine klare Rückmeldung erhalten. Wir haben sie gefragt, welche Projekte sie durchführen, um die LGBTI-Gemeinschaft zu unterstützen. Als Antwort erhielten wir: "Nehmen Sie bitte Kontakt mit unserer Zentrale auf. Mit dem Grund Beschwerde ". Aber wir haben doch keine Beschwerde? Daraufhin kam nur noch ein "Ich verstehe" und das war es auch. Irgendwie erinnert uns dieser Vorgang an unseren letzten Kontakt mit Billigfliegern allgemein. So sieht bei Ryanair also der Kundenservice aus, klasse. Übrigens: Wir haben unsere Anfrage natürlich auch als "Beschwerde" eingereicht. Man wolle sich innerhalb von 7 Tagen bei uns melden. Dieser Zeitraum ist nun auch vergangen. Schade, denn mehr als einen CSD-Truck konnten wir von Ryanair nicht entdecken. Solange wir keine neuen Antworten haben und auch keine LGBTI-Projekte finden, ist die alleinige Teilnahme kein Prädikat dafür, sich LGBTI-freundlich zu nennen. Pinkwashing erster Klasse.

Paypal sagt uns ganz klar, dass sie selbst keine Projekte unterstützen. Sie legen Wert auf Vielfalt und teilen uns Folgendes mit: "Unternehmensintern gibt es mit PayPal Pride eine Initiative, in der sich Mitarbeiter engagieren können, um sich aktiv für die Belange der LGBT-Community einzusetzen" (Presseteam, Paypal). Es können sich also Mitarbeiter selbst in der Community einsetzen. Das kann doch aber jeder, dafür müssen wir kein Mitarbeiter von Paypal sein? Paypal führt weiterhin aus, dass sie die LGBT-Community "fördert und die damit verbundenen Bedürfnisse aktiv unterstützt". Wie das funktionieren soll, wissen wir bislang nicht.

Unangemessene Berichterstattung

Auch der RBB ließ sich von den großen Teilnehmern des CSD blenden. "Die Glosse über die Regierung und die Gleichstellung der Ehe war uns wichtig. Wenn man sich das liberale Berlin der 20er vor Augen führt, kommt man vielleicht nicht umhin darüber nachzudenken, wie es heute aussieht." (RBB-Redaktion, Herold). In etwa einem Drittel der abendlichen Berichterstattung wurden Auszüge der Parade präsentiert. Doch es wurden überwiegend große Trucks der Unternehmen gezeigt. Präsentierte Vereine können wir an einer Hand abzählen. Der RBB selbst entschuldigt sich für diese Unausgewogenheit. Der Zusammenschnitt sollte in der Tat keine Werbesendung sein, sondern einen umfassenden Überblick geben.

Der RBB sorgte auch für einen Livestream des CSD. "Insgesamt war das Interesse der Zuschauer an unseren Angeboten zum CSD leider gering", das ist bei einem regionalen Sender wohl auch zu erwarten, wenn live von einem Event berichtet wird, wo der Großteil der Zielgruppe vor Ort ist.

Der wahre CSD

Neben den großen Firmen, die beim Berliner CSD prominent aufgetreten sind, gab es natürlich auch viele kleinere Vereine, durch die ein jährlicher CSD überhaupt erst möglich wird. Alleine ihnen ist es zu verdanken, dass hunderte Helfer den CSD vorbereiten und organisieren. Viele vergessen, dass eine solche Veranstaltung wochenlang vorbereitet werden muss. Große Firmen können dazu einfach ein paar Mitarbeiter abstellen. Vereine, dessen Mitglieder auch noch in normalen Berufen arbeiten, haben es nicht so leicht und müssen eine enorm stressige Zeit über sich ergehen lassen. Und trotzdem setzen sie sich täglich für ihre LGBTI-Projekte ein, kämpfen für ihre Rechte, beraten Gleichgesinnte und mehr.

All das wird oft vergessen, wenn wir über den CSD sprechen. Das Ziel ist nicht, sich lediglich mit bunten Federn zu schmücken, sondern auf sich aufmerksam zu machen. Die Vereine gehen da leider oft unter, da sie sich keine 12-Meter-Trucks leisten können wie große Anbieter.

Fazit

Es gibt unter den großen Firmen tatsächlich den einen oder anderen Anbieter, der sich für die LGBTI-Gemeinschaft bewusst einsetzt. So werden eigene Projekte durchgeführt und internationale Diskussionsrunden geleitet. Dass die alleinige Teilnahme mit einem CSD-Truck jedoch rechtfertigt, man würde sich aktiv einsetzen, ist fragwürdig.

Gemäß der Bilanz des Berliner CSD e.V. sind die Einnahmen und Sponsorings durch große Firmen leider erforderlich. Bislang hat der Verein immer noch Schulden von rund 100.000 Euro. Ein gewisser Kommerz ist daher einfach notwendig. Ob Pinkwashing oder nicht: Jeder zahlende Sponsor ist weiterhin eine helfende Hand für den Verein und für das Event.

Viele der Firmen haben uns überhaupt keine Reaktion zukommen lassen. Ob Daimler, Siemens, die Commerzbank oder die BVG. Entweder bedingt durch Urlaube; oder weil man uns schlichtweg ignorierte. Sollten wir noch Kommentare erhalten, lassen wir diese für euch natürlich mit einfließen.

Wir freuen uns über eure Kommentare. Wie steht Ihr zum Thema Pinkwashing?